Friedhofsmädchen

Da stand es, das Mädchen, allein auf dem Gottesacker. Kies unter ihren Füßen. Ein paar Kerzen gaben ihm ein Gefühl von Wärme. Still war es in jener Nacht, totenstill.
„Hey, ich bin es leid, mir Gedanken über die Seele zu machen.“
„Aber warum denn?“
„Vielleicht hatte die Steinmetzin damals recht, als sie mir grinsend erklärte, nach dem Tod gäbe es nichts mehr. Nada, sagte sie, mir, einem Friedhofsmädchen!“
„Aber du bist hier.“
„Ich weiß … Ihr fehlt mir.“
„Wir sind da. Du spürst uns doch.“
„Ja.“
„Siehst du.“
„Was macht eine Seele aus, habe ich mich einmal gefragt. Wisst ihr noch? Und jetzt, alles sinnloses Geschwätz …“
„Was eine Seele für dich ist, ist sie für niemanden sonst. Es spielt keine Rolle, was andere in einer Seelen sehen.“
Das Mädchen setzte sich hin und schloss die Augen. Es überlegte unentwegt, doch keinen klaren Gedanken konnte es mehr fassen.
„Ich verstehe das Leben nicht, die Menschen, und die Zeit noch viel weniger.“
„Das brauchst du auch nicht.“
„Sie rinnt mir aus den Händen. Wie Sand. Wir werden keine Freundinnen mehr.“
„Irgendwann ist alles nur mehr eine Geschichte. Versöhne dich mit ihr.“
„Sie hört mich aber nicht. Ich habe es versucht, aber sie ließ mich nicht aussprechen.“
„Was wolltest du ihr denn sagen?“
Das Mädchen beugte sich nach vor und sprach: „Du hast die Raben nicht gesehen …“
„Ich werde es der Zeit weiterleiten. Wir sind verabredet, heut Nacht. Sie wird deine Nachricht bekommen. Versprochen.“
„Gut.“
Zufrieden stand das Mädchen auf und setzte seinen Weg fort.
Tick. Tack. Tick. Tack.
„Du hast die Raben nicht gesehen …“, flüsterte es erneut, hob den Blick in die Nacht, bis sich ein Stern vom Himmelszelt löste. Sein strahlender Schweif verglühte im Dunkel.